Ave Pierre Brice! Winnetou ist tot.

Bravo Starschnitt WinetouLetzten Samstag zeigte der NDR drei Karl May Verfilmungen. Alle ohne Pierre Brice! Als ob er nicht jetzt gerade schmerzlich vermisst würde, wo nicht nur Winnetou tot ist, sondern auch sein Darsteller. Hier ein Gastbeitrag von Kaye, der den Mann würdigt, der als Bravo Starschnitt den Schlaf meiner Jugend bewachte .

„Madonna, ach, in deine Hände/leg‘ ich mein letztes, heisses Flehn:/Erbitte mir ein gläubig Ende/und dann ein selig Auferstehn!/Ave Maria!“ „Scharlih, ich glaube an den Heiland. (…) Leb wohl!“ Pierre Brice, mein roter Bruder, leb wohl! Kleiner Falke glaubt an den Wilden Westen. Als kleiner Falke noch Sehr Sehr Kleiner Falke hieß, nahm ihr Papa Starker Wasserbüffel sie und ihren Bruder Sanfter Bär mit zu den Karl May Festspielen in Bad Segeberg. Da sah Kleiner Falke ihren Helden. Winnetou. Damals war das Pierre Brice. Mit unvergleichlich rollendem „R“. Kleiner Falke legte zwei Finger an die Brust, dann streckte sie ihrem ersten Winnetou die zwei Finger feierlich zum Gruße entgegen. Im Hintergrund der Kalksteinberg. Nscho-Tschi, Klekih-Petra, Intschu-Tschuna. Immer im Kopf, rund herum, immer im Herzen, unverrückbar. Zum Geburtstag bekam Kleiner Falke, die kurze blonde Fusselhaare hatte, eine Indianer-Perrücke mit zwei dicken Zöpfen. War selig und von dem Tag an auch äußerlich eine waschechte Rothaut. Silberbüchse, Bärentöter, Henry-Stutzen. Hau-Ruck und in der Westernstadt des Hansaparks Gold waschen. Die geprägte Münze liegt heute, über zwanzig Jahre später, stolz glänzend in einem Kästchen im Wigwam von Kleiner Falke. Scharlih reitet das Maultier zu. „Es war ein böser Kampf, Kraft gegen Kraft. Ich begann aus allen Poren zu schwitzen, aber das Maultier schwitzte noch weit mehr.“ „Heavens, was seid ihr für ein Mensch.“ „Mama Mutiges Pferd, wenn Kleiner Falke einmal groß ist, will sie Schauspielerin werden und Winnetou bei den Karl May Festspielen spielen.“ „Kleiner Falke, du bist ein Mädchen, die Leute werden sehen, dass du kein Mann bist.“ Kleiner Falke wurde groß und Ärztin und Mama Mutiges Pferd schenkte ihr zu Weinachten eine selbstgebaute Figur mit Arztkittel und Indianerfeder. Auf dem Schild stand „Dr. Winnetou“. Iltschi und Hatatitla, wenn ich mich nicht irre. Kleiner Falke schaut zuhause mit Sanfter Bär Winnetou Filme. Auch hier ein unvergleichliches „R“ auf Pierre Brices Lippen und die unvergessliche Winnetou-Titelmelodie im Ohr. Bis heute sofort abrufbar, auch nachts um drei. Kleiner Falke liest in Italien, im Sommerurlaub, Winnetou III. „Es will das Licht des Lebens scheiden;/ nun bricht des Todes Nacht herein. / Die Seele will die Schwingen breiten; / es muss, es muss gestorben sein.“ Kleiner Falke weint und weint. „Madonna, ach, in deine Hände / leg‘ ich mein letztes, heißes Flehn: / Erbitte mir ein gläubig Ende / und dann ein selig Auferstehn!“ Ob Pierre Brice das wohl auf seiner Beerdigung vorgelesen bekommen hat? Er hätte es verdient.

Winnetou2Ave Winnetou, du hast den Samen der Wild-West-Liebe gesät, sie wächst nun wie das Gras der Prärie. Ave Winnetou, Kleiner Falke vergisst dich nicht.

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Es geht auch anders: Cloud Atlas

Dass das mit den Zukunftsvisionen auch anders geht, selbst wenn sie negativ sind, zeigt der Roman „Cloud Atlas“ von David Mitchell (2004), der auf geniale Weise von Tom Tykwer und den Wachowski Geschwistern 2012 verfilmt wurde. Er spannt einen zeitlichen Bogen über fast 1000 Jahre von 1649 bis in die Zukunft des Jahres 2321 und besteht aus 6 einzelnen, in ganz unterschiedlichen literarischen Gattungen geschriebenen Geschichten, die durch zahlreiche Verweise und die Idee der Reinkarnation miteinander verbunden sind. Buch und Film sind jedes auf seine Art komplex und inspirierend.

Cloud Atlas

Die Unterschiede zwischen Film und Buch erklärt der Autor in seinem Artikel „Translating ‚Cloud Atlas‘ Into the Language of Film“ (Wall Street Journal 2012). Doch beide Medien bedienen sich einer aufgebrochenen Erzählstruktur: im Roman ein symmetrischer Bogen aus halben Geschichten, im Film ein buntes Mosaik aus Szenen, gerade lang genug, um sie in den jeweiligen Erzählsträngen zu verorten. Die Brüche, die dadurch entstehen, rücken das Erzählte in die Nähe unseres alltäglichen Mischmascherlebens von Realität und Fiktion. Und Film und Buch liefern gleich mit, wonach wir immer suchen: eine Ahnung vom Sinn des ganzen Durcheinanders. Alle Leben sind miteinander verwoben, Handlungen in einer Zeitebene haben Konsequenzen in den folgenden, Menschen, die gestorben sind, sind damit nicht einfach verschwunden. Die Zusammenhänge zeigen sich auf vielfältige Weise und auf unterschiedlichen Ebenen, so dass die reiche Handlung nicht in eine eindimensionale Botschaft mündet. Allen Episoden gemeinsam sind die Auseinandersetzung mit persönlichen oder globale Katastrophen und das Thema Freiheit versus Gefangenschaft. Das klingt ernst, aber Buch und Film haben trotz negativer Zukunftsvisionen etwas Tröstliches: für viele der Protagonisten geht ihre Geschichte gut aus, manchmal nicht zu ihren Lebzeiten, aber insgesamt dann doch. Hier sei mir der Vergleich mit dem neuen Testament erlaubt, das wir ja insgesamt auch als hoffnungsspendende Schrift erleben.

Fazit: „Cloud Atlas „(„Der Wolkenatlas“) lohnt sich, wenn die Seele auf Wanderschaft durch die Jahrhunderte gehen und dabei über den Sinn von allem nachdenken und staunen will.

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So nicht!

Das tat nicht gut. Miese Falle. Selber Schuld. Aus Neugier habe ich „Mockingjay“, Film 1 von Teil3 der „Hunger Games“ aus der Videothek mitgebracht.

Die Tribute von Panem“, „The Hunger Games“ ist eine Jugendbuchtrilogie von Suzanne Collins von 2008, die mit großem Erfolg verfilmt wurde. Gelesen habe ich den ersten Band. Der war spannend. Er spielt in einem Nordamerika ähnelnden Land der Zukunft, in dem alljährlich in der reichen und dekadenten Hauptstadt, dem Capitol, Gladiatorenspiele stattfinden. Dort müssen, als „Strafe“ für einen gescheiterten Aufstand, Jugendliche aus den verbliebenen 12 „Distrikte“ des Landes gegeneinander antreten, bis nur Einer oder Eine überlebt. Die Menschen in den Distrikten leben in Armut, streng überwacht, am Rande des Existenzminimums. Sie müssen in Monokultur Produkte und Luxusgüter für die herrschende Klasse herstellen, die in der Hauptstadt in Saus und Braus lebt. So weit lässt sich Panem als mikrokosmisches Bild unserer eigenen Welt verstehen, in der einige wenige Länder den Reichtum verbrauchen, den die anderen produzieren und in der die reichen Länder ihre Privilegien gegebenenfalls mit Waffengewalt verteidigen. Vielleicht deshalb der Jugendbuchpreis für diesen ersten Roman.

Die Jugendlichen, je ein Mädchen und ein Junge zwischen 12 und 18 aus jedem Distrikt, die in einer Freilichtarena zum Amüsement des Capitols gegeneinander um ihr Leben kämpfen müssen, werden jedes Jahr per Los ermittelt. Die Heldin der Serie, die 16-jährige Katniss Everdeen meldet sich freiwillig, als ihre kleine Schwester per Losentscheid an den Spielen teilnehmen soll. Zusammen mit Peeta, dem männlichen Tribut ihres Heimatbezirkes, der in sie verliebt ist, überlebt sie als Letzte in der Arena und beschließt, sich gemeinsam mit Peeta umzubringen, indem sie giftige Beeren essen. Daraufhin werden beide zu Siegern erklärt, bevor sie die Beeren schlucken können. Durch diese Aktion wird Katniss zum Symbol des Widerstandes.

Mockingjay2

Im dritten Buch, dessen Verfilmung in 2 Teilen erfolgt ist, ist Katniss nicht ganz freiwillig als Motivatorin im Untergrund für die Rebellen im Distrikt 13 im Einsatz. Schön ist es dort nicht: ein Leben in Bunkern unter der Erde, braun in braun, aber Leben immerhin im Gegensatz zur grauen Ödnis in dem völlig durch Brandbomben zerstörten Heimatdistrikt 12. Der mit Julianne Moore, Philip Seymour Hoffman und Donald Sutherland hochkarätig besetzte Film ist im Vergleich zu den ersten beiden Teilen visuell unattraktiv. Inhaltlich finde ich ihn fragwürdig. Die Menschen werden vom Capitol gequält und gefügig gemacht, in dem die, die sie lieben, bedroht und misshandelt werden. Sie können sich nur zwischen Pest und Cholera entscheiden: entweder zu töten oder ihre Lieben leiden zu sehen. Auch die Rebellen opfern kaltblütig Menschenleben und denken in Kategorien von Rache und Vergeltung. Vor solche Entscheidung gestellt, kann ich nur sagen: dies ist keine Welt, in der ich leben möchte, auch nicht in der Fantasie. Und auch nicht, um zu erfahren, ob es noch irgendwie gut ausgeht. Der Schaden in dieser dystopisch angelegten Fiktion ist  irreparabel, da ist es schon egal, was noch draus wird. Doch im Gegensatz zur Heldin, die dem Dilemma nicht entkommen kann, kann ich den Film abschalten. Endzeitfantasien mit schlechtem Ausgang sind nichts für mich, da schlafe ich schlecht, und ich brauche meinen Schlaf, um am nächsten Tag fit zu sein, für einen Tag, an dem ich gegen niemanden kämpfen muss.

Fazit: Nichts für mich!

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Gegenadrenalin

Neulich musste ich einen Flug erreichen und aus einem idyllischen Nachmittag in Cambridge wurde ein Szenario, in dem ich nach 3 ½ Stunden schweißgebadet das Flugzeug in dem Moment erreichte, als die hintere Tür gerade geschlossen wurde. Drei Stunden Adrenalin pur. Und als ich dann im Flugzeug sitze fällt mir was als erstes ein? „Die Hard 4.0“ und ich bekomme Lust diesen Film, den ich bestimmt schon drei Mal gesehen habe, zum vierten Mal zu sehen. Mein Mann, der das Drama per Telefon aus der Ferne mitbekommen und mir schon Überachtungsmöglichkeiten und Alternativflüge rausgesucht hatte, war erstaunt: kein Abendessen aber Bruce Willis? Hatte aber nichts dagegen, Männer sehen sowas immer gern. 4.0 ist meine Lieblings-„Die Hard“, weil er selbstreferenziell komisch und dabei spannend ist. Der nette HackerDIe hard wird überleben, das ist schnell klar, sonst würde mit dem nicht rumgewitzelt.

Den ganzen Stress nochmal erleben, nur unterhaltsamer, visuell abwechslungsreicher und mit der Gewissheit, dass es gut ausgeht, das ist das, was ich nach der realen Strapaze, die ja keineswegs lebensbedrohlich war, nur stressig eben, brauche.

Fazit: „Die Hard 4.0“ hilft, wenn du einen würdigen Rahmen für deinen Stress suchst, wenn du archaische Methoden über Hightech stellst, wenn du Variationen zum Thema fahren und fliegen liebst oder einfach nur Räuber und Gendarm magst.

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Filme über alte Leute II

wg

Die Alten in der Komödie „Wir sind die Neuen“ von Ralf Westhoff sind nicht richtig alt: beginnendes Rentenalter vielleicht, nicht sichtbar berufstätig jedenfalls, und wir bekommen sie auch nicht mit der mit dieser interessierten Anteilnahme präsentiert wie in „Quartett“ oder „Young@heart„. Diese „Neuen“, die sich der Studenten-WG über ihnen erwartungsvoll vorstellen sind so wie wir, nur, dass sie beschlossen haben aus Kostengründen und um an alte Zeiten anzuknüpfen, wieder zusammenzuziehen. Ursprünglich waren sie fünf in der WG gewesen, mit 60 noch WG-willig sind Barbara, Biologin und Vogelschützerin, Johannes, freiberuflicher Rechtsanwalt, dessen Klienten hauptsächlich aus nicht zahlenden Hilfsbedürftigen bestehen und Eddie, der sich gut mit Frauen auskennt, aber keine hat. Sie verbindet, dass sie ihren Status nie über Haus, Frau, Yacht, Auto definiert hätten. Das kam nie in Frage. Mit den Studenten, die für mein Gefühl zu eindimensional ich- und karrierebezogen gezeichnet sind, kommt es schnell zum Konflikt, weil die Neuen zu laut und zu kontaktfreudig sind. Die Handlung wird dann, bei durchaus witziger Dialogführung, schnell vorhersagbar. Die Alten helfen den Jungen, als diese in Schwierigkeiten geraten und die Jungen haben auch ein paar gute Tipps parat. Doch das Spannende ist das Gedankenexperiment: wären wir heute noch WG-fähig? Nicht für die WG als Alternative zum Altersheim, sondern würden wir ohne Not aus freiem Willen mit Freunden zusammenziehen und dann auch Freunde bleiben? Einige wenige meiner Bekannten haben bis knapp 40 in der WG gewohnt. Inzwischen kenne ich niemanden meines Alters mehr, der dieses Wohnmodell bevorzugt. Was ist mit uns passiert, wie haben wir uns verändert? Johannes aus dem Film hat sich seit den 70ern nicht mal neue Klamotten gekauft, so scheint es. Wieviel Nachhaltigkeit in Lebensart und Kleidung finden wir eigentlich gut?

Fazit: „Wir sind die Neuen“ hilft, bei selbstauferlegter Spießigkeit und dem Wunsch nach nicht altersgerechter Lebensführung.

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Töpfern und Erotik

KamatakiIch mag Töpfern. Ich mag Getöpfertes. Ich mag sogar Töpfern im Film. Da ist es manchmal erotisch gemeint wie in Ghost. Und in Kamataki, einem großartigen japanisch- kanadischen Film von Claude Gagnon, ist es Weisheit und Leidenschaft. Dem 22-jährigen Ken, der nach dem Tode des Vaters von der Brücke springt, zeigt es den Weg zurück ins Leben. Er wird zu seinem Onkel Takuma, dem Bruder des Vaters nach Japan geschickt. Der Onkel lebt auf dem Land, ist ein berühmter Künstler, ein Meister in der Herstellung traditioneller japanischer Keramik. Die Stücke werden in einer mehrere Tage dauernden Prozedur, dem Kamataki, in einem Holzofen gebrannt. Der Verlauf des Prozesses entscheidet über das Gelingen oder Misslingen der Keramik. Nie hätte ich gedacht, dass das tage- und nächtelange Befeuern eines Ofens so spannend sein könnte. Doch auch die, die japanischer Töpferkunst überhaupt nichts abgewinnen können, kommen auf ihre Kosten. Takuma lebt die Tradition der Töpfer, in der das Wissen von Meister zu Schüler weitergegeben wird, auf seine unkonventionelle Weise traditionell. Ken lernt, in dieser Lebensweise seinen Platz zu finden, gebraucht zu werden, und sieht seinen Onkel während einer Reise nach Tokyo, wo er seine Keramik ausstellt und verkauft, aus dieser Tradition ausbrechen – Karaoke und leichte Mädchen – seine Ehefrau betrügen. Doch auch das ist Ritual zwischen Mann und Frau. Die Frau bekommt ein Geschenk bei der Rückkehr, Zeichen und Entschädigung und Ken entdeckt ein anderes Zeichen, das die Witwe des alten Meisters, die bei Takuma lebt, vor ihre Tür setzt, wenn sie erotischen Besuch erwartet. Der jetzige Meister hat vom alten Meister die Verpflichtung übernommen, für dessen Frau zu sorgen und der junge Eleve lernt eine neue Moral, älter als die Liebe, die er noch nicht gefunden hat.

Fazit: Kamataki hilft, wenn eine neue Haltung zum Leben, der Kunst, der Liebe gebraucht wird.

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Das Leben passend machen: Frances Ha

Es ist dieses Alter, Ende 20, wenn alle anfangen sich zu binden. Es geht in Richtung Familie gründen und Karriere, es soll zumindest in die Richtung gehen. Einige preschen vor, aber bei manchen gibt es eine Phase des Verzögerns, des Scheuens vor Hindernissen, ein Ausbrechen, und dann auch wieder nicht, bevor sie den Sprung, den Schritt auf die Straße wagen, die sie vorwärts bringt, deren Verlauf aber nicht mehr alle Möglichkeiten offen lässt.
Frances Ha 2Am Beginn dieser Straße stehen auch Frances und ihre Freundin Sophie. Sie waren zusammen am College, sind irgendwie seelenverwandt, wohnen zusammen in New York. Frances ist Tänzerin und hofft, fest in das Ensemble der Compagnie aufgenommen zu werden, in der sie die Anfängerklasse unterrichtet. Sophie, eine brillenschlangige angehende Intellektuelle, versteht die lustige, eigensinnige Frances als Einzige, zieht aber doch aus der gemeinsamen Wohnung aus, als sich eine bessere Möglichkeit bietet. Daraufhin schlägt Frances das Angebot ihres Freundes aus, mit ihm zusammen zu ziehen, die Beziehung endet. Sie schlägt auch das Angebot aus, halbtags im Büro der Compagnie zu arbeiten, als sie endgültig nicht aufgenommen wird. Frances macht keine Kompromisse, sie ist wie eine Flipperkugel, die an den Klippen des Lebens abprallt und immer wieder woanders hingeworfen wird. Beim Flippern ist es gut, möglichst viel anzustoßen, doch Frances macht uns besorgt, wenn sie uns nicht gerade zum Lachen bringt. Mit trotzigem Mut die Möglichkeit des Absturzes leugnend, schafft sie es, in der Schwebe zu bleiben, bis sie schließlich ins Ziel geht. Sie nimmt den Bürojob in der Compagnie an und hat dadurch Zeit für ihre eigenen Choreografien. Am Ende sehen wir sie nach einer erfolgreichen Premiere, wie sie aus der Ferne ihrer Freundin Sophie zulächelt.
In der letzten Szene schiebt Frances ihr Namensschild in den Briefkasten ihrer ersten eigenen Wohnung in N.Y. Ihr Name ist zu lang, sie knickt das Schild nach dem Ha ab, dann passt es.
Fazit: Frances Ha hilft in der Schwebe zu bleiben, hilft, wenn es unmöglich scheint, eine bezahlbare Wohnung zu finden, hilft, wenn die beste Freundin heiratet oder wegzieht und ermutigt, nach einem anderen Weg zu suchen, wenn das Talent nicht für die erste Reihe reicht.

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Der Antitatort

Jetzt ist mir „Die Zeit“ zuvorgekommen, mit einem Beitrag zum Brenner. Drei Seiten Interview mit Wolf Haas zum Thema: „Warum lieben wir Krimis?“ Wolf Haas hat eine Antwort parat. Er führt Steven Pinker mit der These an, dass Gewalt in unserer vergleichsweise gewaltfreien Gesellschaft virtuell zelebriert werde, damit uns nicht „fad im Schädel“ wird. Das unterschreiben wir sofort, aber der Brenner bedeutet uns noch viel mehr.
Ich habe Wolf Haas entdeckt als es vier Brenner-Romane gab. Da bekam ich den ersten zum Geburtstag geschenkt und meine Freundin Andrea sagte: „Oh du Glückliche, jetzt hast du die alle noch vor dir.“ Und alle vier waren ein Genuss. Den Brenner verschlägt es in unterschiedliche Milieus, die zunächst durchaus positiv daherkommen: das winterliche Zell am See, eine Hähnchenbraterei in der Steiermark, die Organisationen der Rettungswagenfahrer in Wien und eine Klosterschule in Salzburg. Doch dann passiert immer etwas: BrennerZwei Leichen sitzen erfroren im Lift, Menschenknochen werden zwischen Hühnerknochen entdeckt, der Chef der Blutbank und seine Freundin werden gleichzeitig beim Kuss durch eine einzige Kugel dahingerafft und im angesehenen Knabeninternat machen Missbrauchsgerüchte die Runde. Die Idylle wird gestört, ihrer Lieblichkeit, des zünftigen Genusses, aller hehren Ziele und moralischen Werte entkleidet und der Brenner muss das wieder richten. Dabei wird er vom Erzähler beobachtet, der sein Verhalten in dieser süchtig machenden, Verben durch Andeutungen ersetzenden Sprache für uns kommentiert. Und wir wissen gar nicht, wen wir lieber um uns haben, den Brenner oder den, der von ihm erzählt. Die Welt in ihrer Schrägheit und komischen Absurdität über Bande erzählen, in einem Sprachduktus, der so tut, als sei er österreichisch, in einem Roman, der so tut, als sei er ein Krimi, aber dann in Wirklichkeit als Antikrimi, Antitatort quasi, das Genre überführt, das ist das, was wir am Brenner lieben.

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FILM RETTET GRAUEN TAG

Gestern war „Schiffsmeldungen“ Tag. Das spürte ich schon am Morgen. Ein Schiffsmeldungen Tag ist ein kalter regnerischer Tag, ein Tag der unfreundlichen Umgebung, wo alte Wunden wehtun. Da sagen die Schiffsmeldungen: es kann alles noch gut werden. Besinn dich darauf, wer du bist, sei mutig und voller Mitgefühl. Wenn du in die richtige Umgebung kommst, wirst du leuchten. Du musst nicht besonders schön, nicht besonders nett, nicht besonders aufregend sein. Denk an Quoyle

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Quoyle ist der Held der Schiffsmeldungen, einer, der aussieht wie sein Name, der sich mit dem Gefühl zu versagen, eingerichtet hat. Als es schlimmer kaum kommen kann, Eltern und treulose Ehefrau sterben und lassen ihn als Witwer mit zwei kleinen Töchtern zurück, ohne Arbeit, ohne Freunde, ohne Mut, fragt ihn die Tante, ob er mit ihr zusammen in Neufundland neu anfangen will. Quoyle hat nichts zu verlieren und gewinnt, sich zögernd selbst vertrauend, alles. Das Buch von Annie Proulx ist feiner gewoben, geheimnisvoller als der Film, in dem Lasse Hallström die kraftvolle Poesie von Proulxs Prosa in eindringliche Bilder übersetzt. Neufundland und seine Bewohner: unwirtlich und schön, eigenwillig, rauh, herzlich, voll seltsamer Wunder.
Was ich besonders an dem Film mag ist, wie Quoyle als frisch gebackener Reporter beim Gammy Bird lernt, Schlagzeilen zu verfassen. Etwa: FILM RETTET GRAUEN TAG und BUCH BESCHWÖRT DREHENDEN WIND, DER ALTE WUNDEN HEILT.

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Bücherfest

vordemfest_43508Jetzt ist schon wieder Buchmesse in Leipzig und ich habe gerade erst einen Preisträger des letzten Jahres zu Ende gelesen: Aber „Vor dem Fest“ von Saša Stanišić sollte man auch in Scheibchen genießen, am liebsten vorgelesen. Dass der so schreiben kann. Über ein Dorf in der Uckermark. „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ – bei allem Respekt – nichts dagegen, würde der Brenner sagen. „Der Nebel balanciert auf dem Wasser.“ „So eine Nacht ist das.“ Wenn ich wohin fahre, lese ich immer Krimis oder Romane über die Gegend als Vorbereitung. Dies ist der definitive Brandenburgroman. Ein Freund der viel mit dem Rad in Brandenburg unterwegs ist, sagt, der Ort mit den zwei Seen, Fürstenwerderder im Buch Fürstenfelde heißt, sei Fürstenwerder, auch wenn er bei der Durchfahrt nicht bemerkt hätte, wo genau „der See die Landstraße zärtlich berührt.“ Dazu brauchen wir Saša Stanišić oder Fontane im Fall der Mark Brandenburg. Neulich waren wir im Ballhaus Ost in einem Stück über Fontanes Wanderungen. Da erzählen die Protagonisten wie sie am Kloster Chorin vorbeikamen und: „Nix da!“. Viel Mühe, viel Gewandere, kein Ertrag. „Vor dem Fest“ gibt dem Dorf in der Uckermark Tiefenschärfe, schreibt seine Biografie, ordnet seine erzählenswerten Angelegenheiten zur Momentaufnahme einer Nacht, der Nacht vor dem Fest

Fazit: „Vor dem Fest“ ist die optimale Vor- und Nachbereitung für Ausflüge in die Uckermark und ein Leckerbissen für alle, die mehr Sprache als Action brauchen.

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